1. Wie kam es zu einem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen?
Im Jahr 2012 hatte sich der Große Senat für Strafsachen am Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob sich ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt wegen Bestechlichkeit oder Korruption strafbar machen kann oder ob er nicht dem Anwendungsbereich der geltenden Korruptions- oder Bestechungsstrafgesetze unterliegt. Es kam hierbei entscheidend darauf an, ob es sich beim niedergelassenen Vertragsarzt um einen Amtsträger oder einen Beauftragten im geschäftlichen Verkehr handelt oder er unter keine der beiden Varianten fällt.
Mit Beschluss vom 29. März 2012 kam der Senat zu dem Ergebnis, dass es sich beim niedergelassenen Vertragsarzt weder um einen Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB noch um einen Beauftragten der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB handelt. Die Entscheidung offenbarte eine Strafbarkeitslücke im Strafgesetzbuch. Korruptives Verhalten, das in allen anderen Bereichen des Wirtschafts- und Soziallebens strafrechtlich sanktionierbar war, konnte in dem engen Bereich der unlauteren Beeinflussung von niedergelassenen Vertragsärzten nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Unmittelbar nach der Entscheidung formierte sich ein breiter politischer Konsens um diese offenbar gewordene Strafbarkeitslücke im Bereich der niedergelassenen Vertragsärzte zu schließen. Ausweislich der Gesetzesbegründung sah die Bundesregierung durch Korruption im Gesundheitswesen die Gefahren einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs, einer Verteuerung medizinischer Leistungen und eines Verlustes des Patientenvertrauens in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen. Wegen der erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Gesundheitswesens sollte korruptives Verhalten strafrechtlich sanktionierbar sein.
Mit Aufnahme einer entsprechenden Absichtserklärung in den aktuellen Koalitionsvertrag wurde der politische Weg für das nunmehr verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen bereitet.
2. Wann tritt das Gesetz in Kraft?
Am 14. April 2016 wurde das nicht zustimmungspflichtige Gesetz in seiner Endfassung durch den Deutschen Bundestag verabschiedet. In seiner Plenumssitzung vom 13. Mai 2016 hat auch der Bundesrat grünes Licht gegeben, indem er darauf verzichtet hat den Vermittlungsausschuss anzurufen. Der federführende Rechtsausschuss und der Gesundheitsausschuss hatten dem Bundesrat bereits am 26. April 2016 empfohlen (BR-DS 181/1/16) von einer Anrufung des Vermittlungsausschusses abzusehen. Das Gesetz ist am 4. Juni 2016 in Kraft getreten.
3. Sind von dem Gesetz auch Vorgänge aus der Vergangenheit umfasst?
Prinzipiell nicht, denn das Strafrecht unterliegt einem Rückwirkungsverbot. Der in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB festgeschriebene Grundsatz „Nulla poena sine lege praevia (keine Strafe ohne vorheriges Gesetz)“ besagt, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn vorher - also bevor die Tat begangen wurde - gesetzlich bereits bestimmt war, dass eine solche Tat auch strafbar ist.
Strafbar können aber Lebenssachverhalte sein, die zwar bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes angelegt waren, bei denen dann aber alle zur Strafbarkeit erforderlichen Tatbestandsmerkmale nach Inkrafttreten verwirklicht wurden.
4. Was ist der Inhalt des Gesetzes?
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen wurden im Wesentlichen zwei neue Straftatbestände in das Strafgesetzbuch eingefügt. Der § 299a StGB „Bestechlichkeit im Gesundheitswesen“ und der § 299a StGB „Bestechung im Gesundheitsweisen“. Sie bilden beide Seiten eines Lebenssachverhaltens ab und unterscheiden sich durch den jeweiligen Adressaten. § 299a StGB adressiert Angehörige eines Heilberufes als diejenigen, die sich bestechen lassen und § 299b StGB jedermann, der einen Angehörigen eines Heilberufes besticht.
Im Kern ist es für Angehörige eines Heilberufes künftig unter Strafe gestellt, im Rahmen ihrer Berufsausübung einen Vorteil als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung eines anderen im Wettbewerb, insbesondere bei der Auswahl oder dem Bezug von Arznei-, Heil- oder Hilfsmittels, bei der Zuweisung von Patienten oder von Untersuchungsmaterial zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen. Spiegelbildlich ist es ebenso strafbar wenn jemand hierfür einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt.
Konkret lauten die neuen Straftatbestände wie folgt:
„§ 299a - Bestechlichkeit im Gesundheitswesen“
Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er
„§ 299b - Bestechung im Gesundheitswesen“
Wer einem Angehöriger eines Heilberufs im Sinn des §299a im Zusammenhang mit dessen Berufsausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er
bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
5. Wer ist „Angehöriger eines Heilberufs“ im Sinne der § 299a und § 299b StGB?
Erfasst sind nicht nur Ärzte oder akademische Heilberufsgruppen, sondern alle Angehörigen eines Heilberufes, insoweit dieser Heilberuf für die Berufsausübung oder für die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert. Dabei werden sowohl akademische Heilberufe, deren Ausübung eine durch Gesetz und Approbations (ver-)ordnung geregelte Ausbildung voraussetzt (z.B. Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und Apotheker) als auch die sogenannten Gesundheitsfachberufe (z.B. Gesundheits- und Krankenpfleger, Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten), deren Ausbildung ebenfalls gesetzlich geregelt ist, erfasst.
6. Was ist unter einem „Vorteil für sich oder einen Dritten“ zu verstehen?
Der Vorteilsbegriff ist sehr weit gefasst. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen vom Tatbestand sämtliche Vorteile erfasst sein, unabhängig davon, ob es sich um materielle oder immaterielle Zuwendungen handelt und ob es sich um einen Vorteil für den Täter selbst oder für einen Dritten handelt. Es ist also unbeachtlich, ob der Täter einen Vorteil für sich selbst fordert, sich versprechen lässt oder annimmt oder dieser Vorteil auf seine Veranlassung hin einem Dritten zukommt. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei dem Dritten selbst um einen Angehörigen eines Heilberufes handelt oder nicht. Bei dem Dritten kann es sich somit auch um einen Lebensgefährten, einen gemeinnützigen Verein, eine Körperschaft öffentlichen Rechts oder auch ein Wirtschaftsunternehmen handeln.
Für die Auslegung des Vorteilsbegriffs verweist der Gesetzgeber auf die Grundsätze, die zu den bisherigen Bestechungs- und Korruptionsstraftatbeständen entwickelt worden sind. Demnach ist unter einem Vorteil jede Zuwendung (materiell oder immateriell) zu verstehen, auf die der Täter keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage objektiv verbessert (vg. BGH, Urteil vom 11. April 2001, 3 StR 503/00).
Zu den Vorteilen können demnach grundsätzlich auch Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen oder Kongressen gehören. Ebenso auch die Schaffung von Verdienstmöglichkeiten, zum Beispiel durch den Abschluss von Referenten- oder Beraterverträgen oder die Teilnahme an Studien. Das gilt selbst dann, wenn das in dem Vertrag vereinbarte Entgelt angemessen berechnet ist.
7. Fallen auch geringfügige Zuwendungen wie Werbegeschenke unter den Vorteilsbegriff?
Generell sehen die Straftatbestände zwar keine Bagatellgrenze vor, so dass auch die Gabe eines Werbegeschenkes einen Vorteil darstellt. Eine strafbare Handlung dürfte hierin aber nicht begründet liegen. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu den bisherigen Bestechungs- und Korruptionsstraftatbeständen ist davon auszugehen, dass der Straftatbestand dann nicht erfüllt ist, wenn der Zuwendung schon die objektive Eignung fehlt, konkrete heilberufliche Entscheidungen zu beeinflussen. Davon dürfte bei geringfügigen und allgemein üblichen und damit sozialadäquaten Werbegaben auszugehen sein (vgl. BT-DS 360/15 S. 14).
8. Ist jede Vorteilsgewährung demnach strafbar?
Die bloße Vorteilsgewährung allein reicht nicht aus, um eine Strafbarkeit zu begründen. Hinzukommen müssen noch weitere Tatbestandsmerkmale. So muss die Vorteilsgewährung im Zusammenhang mit der Berufsausübung stehen und eine Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung eines anderen im Wettbewerb darstellen. Es bedarf somit des Vorliegens einer sogenannten Unrechtsvereinbarung.
9. Wann liegt eine „Unrechtsvereinbarung“ vor?
Für das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung ist eine inhaltliche und gewollte Verknüpfung eines Vorteils einerseits und einer Gegenleistung andererseits erforderlich. Das bedeutet, dass der Vorteil als eine Gegenleistung für eine (zumindest beabsichtigte) und unlautere Bevorzugung im Wettbewerb gefordert, sich versprechen gelassen oder angenommen wird. Beziehungsweise ein Vorteil als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb angeboten, versprochen oder gewährt wird.
10. Wann liegt eine unlautere Bevorzugung vor?
Zunächst bedarf es hierfür einer Bevorzugung eines von mindestens zwei Wettbewerbern.
Wann auch immer ein Angehöriger eines Heilberufes eine Auswahl zwischen mehreren in Wettbewerb stehenden Alternativen trifft, liegt naturgemäß eine Bevorzugung vor. Strafbar aber ist eine solche Bevorzugung nur dann, wenn der Grund der Bevorzugung auf sachfremden Motiven beruht, also Ausfluss einer Unrechtsvereinbarung ist und geeignet ist dadurch den Mitbewerber zu schädigen.
11. Welche Strafe droht?
Im Grunddelikt droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. In besonders schweren Fällen ist keine Geldstrafe mehr möglich, es droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Besonders schwere Fälle liegen in der Regel vor, wenn sich die Tat auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder der Heilberufsangehörige gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. Ein besonders schwerer Fall dürfte insbesondere auch bei Schädigung oder erheblicher Gefährdung der Gesundheit von Patienten angenommen werden können, die infolge korruptiv bedingter Falschbehandlung eingetreten sind.
12. Bedarf es zur Strafverfolgung eines Strafantrages?
Entgegen des ursprünglichen Gesetzesentwurfes sieht die verabschiedete Fassung kein Strafantragserfordernis mehr vor. Die neuen Straftatbestände sind als Offizialdelikte ausgestaltet. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft das Delikt von Amts wegen verfolgen kann und es nicht darauf ankommt, dass ein Strafantrag gestellt wurde.